„Du hast deinen Vertrag gründlich durchgelesen und bist sicher auf einige Klauseln gestoßen, die Fragen aufwerfen. Du bekommst interne Eindrücke und Informationen, für die du eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben hast. Alle Themenbereiche und Experimente, die du hier findest, haben jahrelange Versuchsreihen hinter sich und einen hohen Stellenwert in der Forschung.“ Ich setze ein leichtes, bestätigendes Lächeln auf. Doch ich habe den Vertrag nicht sorgfältig gelesen. Irgendwie habe ich das Mama überlassen und jetzt wird mir auch klar, warum sie so unzufrieden reagiert hat.

Mit dem kleinen Wesen auf meinem Arm gehe ich schnurstracks und schnellen Schrittes zur Bibliothek ein paar Straßen weiter. Unwohl blicke ich mich um, ob uns jemand folgt, doch mir ist keiner aufgefallen. Immerhin laufe ich mit einem Hund im Arm herum, der nicht mir gehört und von dem zum jetzigen Zeitpunkt keiner wissen soll. Dort angekommen, verziehen wir uns in die hinterste Ecke, ohne ‚Hallo‘ zu sagen und ich vergewissere mich erneut, ob wir allein sind. Den Kleinen setze ich auf einem Tisch ab und nehme auf dem danebenstehenden Stuhl Platz. Aufgeregt atme ich ein und aus und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Wir starren uns eine Weile schweigend an, bis die Fragen nur so aus meinem Mund heraussprudeln. „Wovor hattest du solche Angst? Was war das für eine Brosche?“ Mir schwirrt der Kopf und ich muss mich beherrschen, nicht zu laut zu sprechen. „Wieso höre ich dich in meinen Gedanken? Wer bist du und woher kommst du?“ Ich gestikuliere wild mit den Händen und bin aufgebracht. Mir fallen tausend Fragen ein und mein Herz rast. Mit tiefen Atemzügen versuche ich mich zu beruhigen. Er tapst zögernd zu mir heran und stupst meine Hand mit seiner kleinen Nase an. Im Nu fällt die Anspannung von mir ab und alles fühlt sich besser an. „Das hast du schon mal gemacht“, stelle ich überrascht fest. „Du berührst meine Haut und ich entspanne mich wieder. Ist das eine Art Superkraft?“



Ich nehme mir mein Buch zur Hand und habe seit langen ein, zwei Stunden Zeit zu lesen. Der ‚Mitternachtsmarkt‘ ist nichts für schwache Nerven und ich assoziiere im Moment einiges mit der Geschichte. Der Protagonist muss sich plötzlich in brenzlichen Situationen zurechtfinden, zuvor nie Dagewesenes akzeptieren und in den Alltag integrieren. Zu lesen, wie er es meistert, stimmt mich zuversichtlich.
„Warum nennt man sie eigentlich Seelentiere?“, fragte ich eher als Ablenkung. „Die Bezeichnung nimmt einen markanten Platz im Manuskript des Ordens ein.“ Auch hier teilt Jonas gern sein Wissen. „Die Tiere werden auf Grund ihrer Gabe und den heilenden Kräften so genannt. Die Geschichten reichen von der Transformation des Tieres bis zur Seelenverbindung. Sie sollen zudem eins mit der Natur werden können, was die Schwierigkeit, sie zu entdecken unterstreicht.“ Jetzt mischte sich auch Lenz ein. „Und die Regeneration nicht zu vergessen, sie sorgt unter anderem für Langlebigkeit.“ „Zudem hat die Katze ausgeprägtere Sinne“, fügte Lehmann hinzu und erklärte: „Ein raffinierter Geruchssinn, der weiterentwickelte Tastsinn der Schnurrhaare, ihre Psychosomatik und Robustheit ergeben eine ganz neue Spezies.“ In meinen Gedanken formte sich eine fantasievolle Darstellung, die alle Hinweise vereinte und ein Bild eines Monsters ergab. Eine Katze im Wolfspelz könnte man sagen.



Ich sah ein altes, vergilbtes Manuskript, das bald das zeitliche segnete. Das Papier nahm einen unerwünschten Gelbton an und es fehlte an jeglichen Ecken und Kanten. Es sah nicht so aus, als ob man es öffnen, geschweige denn lesen konnte, eher so, als sei es ein ganzer in sich verschmolzener Papierblock, nur das dieser hier staubte und sich auflöste. Der Einband bestand aus braunem, dunklem Leder und hatte ursprünglich sicher einen anderen Farbton. In der Mitte thronte ein Abdruck einer goldenen Muschel, die der einer Jakobsmuschel ähnlichsah. Ehemals glänzende Verzierungen und ein Schriftband, auf dem man die Buchstaben nicht erkannte. Ich stellte mir beim bloßen Anblick vor, wie das alte Teil stank. Muffiger, alter Geruch, wie in nassen, verlassenen Häusern, die nie frische Luft bekamen. Ich befürchtete, dass beim Öffnen der Vitrine, einem sofort Schimmelsporen in die Nase flogen. Mich fröstelte es bei dem Gedanken daran und drehte mich angeekelt weg. „Und was denkst du?“, wollte Jonas auf dem Rückweg zum Tisch von mir wissen. Ich zuckte unschlüssig mit den Schultern und setzte mich an meinen Platz. „Reichlich alt das Ding“, teilte ich ihn meine Meinung mit, doch ahnte, dass er mir gleich mehr darüber erzählte. „Ich dachte mir, dass dein Vater dir nichts verraten hat, und du dir sicher ein eigenes Bild machen sollst. Ich weiß von meinem Vater, dass du bald mit dem Studium fertig bist und Dr. Biel als Arbeitgeber, eine grandiose Chance wäre,“ teilte er mir stolz mit. „Und außerdem könntest du an einem pharmazeutischen Wirkstoff forschen, der deiner Mutter helfen könnte. Der Orden wäre eine gute Hilfestellung und sobald du mehr weißt, wirst du mich verstehen.“ Doch im Moment begriff ich rein gar nichts.
Du hattest deine Gründe und die dunkle Aura lag schwer auf deinen Schultern. Jetzt ist davon nichts mehr zu sehen. Während die der anderen, die ganze Zeit über schwarz und gefährlich war, strahltest du im Hintergrund unsicher heraus. Deshalb war die Flucht in deine Richtung, meine einzige Chance. Ich muss dieses Leben hinter mir lassen und das solltest du ebenso.
„Es werden Köpfe rollen“, schrie der König und lief in schnellen Schritten durch den Thronsaal. Sein Kopf hochrot, die Nasenflügel hoben und senkten sich mit seinen Atemzügen, bis er auf seinem Thron Platz nahm und endlich Ruhe fand. Die Soldaten schlichen tonlos aus dem Raum und versteckten sich auf den Gängen, während der Hofmeister an des Königs Seite weilte. Keiner sollte es wagen, den Monarchen zu verärgern, denn eine aus der Wut heraus entstandene Entscheidung von ihm konnte der anderen Tod bedeuten. Für dieses Ärgernis waren allerdings seine eigenen Töchter verantwortlich. „Ein weiteres Paar Schuhe können wir uns nicht mehr erlauben“, sprach der Herrscher zornig und stützte seinen Kopf in den Handflächen ab. Dabei rieb er sich verzweifelt die Stirn mit seinen Fingern und volvierte. „Einige Handwerker und Schuster reden“, fügte der Hofmeister demütig flüsternd hinzu und wich vorsichtshalber einen Schritt zurück. „Wie lange geht das schon so?“, brüllte der Kronenträger verärgert. „Mein König. Wir werden gewiss eine Lösung finden.“ Davon wollte der Monarch jedoch nichts wissen und winkte ihn mit der Hand weg. „Lasst mich allein.“ Sein treuer Butler wagte nicht, zu widersprechen.
Begonia und Carissima standen immer im Schatten ihrer großen Schwester. Das Hauptaugenmerk lag auf Adelheid. Als zukünftige Königin sollte sie den Familiennamen in Ehren weiterführen und eines Tages einen Thronfolger gebären. Sie galt als das Aushängeschild der königlichen Erziehung und musste ein Vorbild für die Regentschaft sein. Auf ihren Schultern lastete der Druck des gesamten Königshauses. Die Zwillinge konnten sich nicht vorstellen, mit Adelheid zu tauschen, und versuchten dennoch, ihr das Leben so einfach wie möglich zu machen. Sie ergänzten sich gegenseitig und schützten ihre Schwester, wo sie nur konnten. Falls Adelheid je einen törichten Fehler beginge oder unerwartet stürbe, müssten die beiden die Bürde einer Königin tragen – ein Schicksal, das sie stets zu vermeiden suchten. Die Schwestern liebten einander, daran bestand kein Zweifel. Aber jede war ein Unikat für sich. Während Adelheid auf Schritt und Tritt Regeln befolgen musste, hatten es die Jüngsten leichter. Trotzdem kannte auch sie nur den Bergpalast und den angrenzenden Wald samt Steilhang und Wachen. Die Schwestern wussten sich zu beschäftigen, und durch das erste Portal der Ältesten, kamen nach und nach mehr Freiheiten in ihr Leben. Adelheid erzählte abends von den Geschichten, die sie gelesen hatte, so war für jede etwas dabei und sorgte für kurzweilige Ablenkung.
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„Das Bild im Spiegel zu erkennen, ist eine hohe Kunst“, pflegte der Meister zu sagen. Echos Nero verstand die Bedeutung dieser Worte erst, nachdem sein Lehrmeister gestorben war. Mit dessen Tod ging die Gabe des Hauses auf den jungen Mann über, und er wurde im privaten Kreis zeremoniell zum neuen Spiegelmeister ernannt. Von diesem Moment an verlor er seine Vergangenheit, war untrennbar an diese Stadt gebunden und verschrieb sich der Spiegelherstellung – einschließlich der magischen Einflüsse. All dies besiegelte ein mit Blut unterschriebener Vertrag zwischen Meister und Schüler. Seine Aufgabe war fortan nicht mehr nur das Handwerk an sich, sondern auch, den Menschen zu helfen. Dies tat er stets mit Herz und Verstand und blühte vollkommen in seinem neuen Leben auf. Er hatte seine Berufung gefunden, und diese übte er bis heute aus. Hinter vorgehaltener Hand war er für die Dorfbewohner jedoch ein Hexer. Ein zwischenzeitlich alter Mann, der Magie anwandte und deshalb gehängt werden sollte. Vollstreckt wurde diese Grässlichkeit allerdings nicht. Niemand wagte es, das Urteil des Königs infrage zu stellen, denn der Spiegelmeister hatte sich nie etwas zuschulden kommen lassen und nie einer Seele Leid zugefügt. Er betrieb gelegentlich am Wochenende auf dem Stadtmarkt einen Stand und verkaufte dort Spiegel und Accessoires aller Art. Meistens erwarben Gaukler und Reisende etwas bei ihm und trugen seine Werke in ferne Länder. Die Qualität seiner Produkte war außergewöhnlich gut und mit einem modernen Touch des Landes versehen. Wenn er Aufträge für Geschenke erhielt – ob Handspiegel, Spiegelrahmen oder Gemälde – verzierte er sie mit den örtlichen Kulissen oder ließ sich von der botanischen Vielfalt inspirieren. Er malte, schmückte und verschönerte alles, was mit Glas und Spiegeln zu tun hatte. Ein wahrer Meister seiner Zeit und seines Handwerks.